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Was die Zahlen zu Asyl und Migration aussagen

Was die Zahlen zu Asyl und Migration aussagen
Rechtspopulistische Kreise greifen die Migrationspolitik der Union aufgrund von Asylzahlen an. Dabei sagen kurzfristige Schwankungen bei Asylanträgen wenig aus. Langfristig sind die Zahlen deutlich gesunken. 

"Bevor Merz mit seiner 'Migrationswende' die Wahl gewann und im April Kanzler wurde, lag die Zahl der Asylerstanträge bei 9.108. Inzwischen ist sie sogar noch höher: Im September stellten 9.130 Asylbewerber einen Erstantrag. Eine CDU-Migrationswende gibt es nicht einmal im Ansatz." AfD-Chefin Alice Weidel attackiert die Union um Bundeskanzler Friedrich Merz auf X scharf und stellt die Migrationspolitik der Bundesregierung infrage. Doch bei ihrem Vergleich der Asylerstanträge lässt sie wichtigen Kontext aus.



Es stimmt, dass die Zahl der Asylerstanträge im September im Vergleich zu April dieses Jahres leicht gestiegen ist - nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) von 9.108 auf 9.126, also um 0,2 Prozent. Allerdings sind monatliche Schwankungen bei den Asylerstanträgen keine Seltenheit.
Vergleicht man die Zahlen des diesjährigen September mit den Vorjahren, ist ein deutlicher Rückgang zu erkennen. So waren es im September 2024 insgesamt 18.113 Asylerstanträge und damit fast doppelt so viele wie in diesem Jahr. Im September 2023 waren es 27.889. Zudem waren in beiden Jahren die Zahlen im September ebenfalls höher als im April.

Nur während Pandemie niedrigere Zahlen

Seit 2015 war die Zahl der Asylerstanträge im September nicht so niedrig wie in diesem Jahr. Nur während der Coronapandemie lag sie im September 2020 überhaupt unterhalb von 10.000. Am meisten Erstanträge gab es mit 74.782 im Jahr 2016.
Die Pandemie habe die Mobilität weltweit gebremst, erläutert Birgit Glorius, Migrationsforscherin an der Technischen Universität Chemnitz und stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrats Integration und Migration. "Die steigenden Asylantragszahlen in den Jahren ab 2022 könnte man als nachholende Migration bezeichnen, die dann nach und nach wieder abflaut."
In den vergangenen Jahren habe man schwankende Zugangszahlen nach Deutschland beobachten können. "Das Auf und Ab ist durchaus nicht ungewöhnlich. Diese kurzfristig sich verändernden Zahlen eignen sich nicht für eine ernsthafte Beurteilung, ob bestimmte politische Maßnahmen dafür verantwortlich sind oder nicht", sagt Glorius.
Es fehle ein regelmäßiges, umfassendes Monitoring von Migrationsbewegungen, um seriös einschätzen zu können, ob Maßnahmen wie beispielsweise die Einführung von Grenzkontrollen, tatsächlich dafür verantwortlich sind, dass Zugangszahlen sinken oder sich verändern.

Verschärfte Asylpolitik

Die schwarz-rote Bundesregierung hat mehrere Pläne beschlossen, um die Migrationspolitik zu verschärfen. Dazu gehören unter anderem längere und strengere Grenzkontrollen, dass der Familiennachzug von subsidiär geschützten Flüchtlingen ausgesetzt wurde und die härtere Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Auch die Ampelkoalition hatte bereits verschiedene Asylgesetze verschärft - unter anderem, um Abschiebungen zu erleichtern.
In rechtspopulistischen und rechtsextremen Kreisen wird jedoch oft angezweifelt, wie wirksam die Maßnahmen sind - unter anderem mithilfe der Zahlen der Asylanträge. Doch dabei wird teilweise der Kontext ausgeblendet.

Tatsächlich sind die Zahlen derer, die Asyl beantragen, seit dem vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen. Das BAMF weist daraufhin, dass die Monatswerte wegen möglicher nachträglicher Änderungen nicht zu einem Gesamtwert addiert werden können. Es gibt deshalb separate Werte für längere Zeiträume an.
Dieses Jahr wurden einschließlich September insgesamt 87.787 Asylerstanträge gestellt. Das sind laut BAMF rund 51 Prozent weniger als im Vorjahr, wo im Vergleichszeitraum 179.212 Erstanträge gestellt worden waren.

Gründe vielfältig, Zusammenhänge komplex

Die Gründe für die sinkenden Zahlen seien vielfältig und die Zusammenhänge oft komplex, betont Migrationsforscherin Glorius. Es sei unseriös, Kausalitäten zwischen politischen Entscheidungen zur Verschärfung des Asylrechts und sinkenden Erstanträgen sechs Wochen später herzustellen.
"Aus migrationswissenschaftlicher Perspektive ist die von der Politik ausgerufene 'Migrationswende' keine Wende in der weltweiten Flüchtlingssituation, die humanitäre Situation in Europa, Deutschland oder weltweit hat sich eher verschlechtert", so Glorius. Vielmehr gehe es um eine Symbolwirkung - sowohl für die deutsche Bevölkerung, als auch, um potenzielle Flüchtlinge abzuschrecken.
"Die Annahme ist, dass weniger Menschen nach Deutschland kommen, indem man das 'Race to the Bottom' auf europäischer Ebene mitmacht." Das bedeute, möglichst "unwirtliche Aufnahmebedingungen" einzurichten und diese nach außen zu kommunizieren, in der Hoffnung, dass die Menschen dann woanders hingehen. Das könne zu "Umlenkeffekten" innerhalb Europas führen. Ob es generell zu weniger Migration führt, sei aber fraglich, sagt Glorius.

Sehr viele Folgeanträge afghanischer Frauen

Bei den Folgeanträgen gab es seit Juli dieses Jahres einen starken Anstieg: Von Januar bis April waren es jeweils weniger als 2.000 pro Monat, im September lag die Zahl bei 10.790. Im September 2024 waren es 1.571, im Jahr davor 1.681. Ein Folgeantrag liegt vor, wenn die betroffene Person nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt. 
Nach Angaben des BAMF liegt das an einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), demzufolge die vom Taliban-Regime erlassenen diskriminierenden Maßnahmen und Gesetze gegen Frauen die erforderliche Schwelle erreichen, um als Verfolgungshandlungen gegenüber afghanischen Frauen zu gelten.
Die hohe Zahl an Folgeanträgen könne als Auswirkung dieses Urteils angesehen werden, so das BAMF. So waren von den insgesamt 36.623 Folgeanträgen dieses Jahres 25.838 von Menschen aus Afghanistan.
Erst- und Folgeanträge zusammengerechnet sind die Zahlen nach Angaben des BAMF dennoch im Vergleich zum Vorjahreszeitraum insgesamt um 36,2 Prozent gesunken.

Zahlen zu Grenzabweisungen recht konstant

Im Oktober 2023 hatte Deutschland stationäre Grenzkontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz eingeführt. Vor knapp einem Jahr weitete die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der SPD dann die Grenzkontrollen auf alle deutschen Grenzen aus. Vor vier Monaten verstärkte ihr Nachfolger Alexander Dobrindt von der CSU die Kontrollen noch einmal. Seitdem weist die Bundespolizei teilweise auch Menschen zurück, die Asyl beantragen wollen. Rechtlich ist das sehr umstritten.
Wie Daten der Bundespolizei zeigen, sind die Zahlen der verhinderten unerlaubten Einreisen an den Landesgrenzen seit der Einführung der Binnengrenzkontrollen im Oktober 2023 recht konstant geblieben. So schwanken die Werte für die einzelnen Monate von mindestens 2.413 bis maximal 3.980. Auch hier können sich die Werte für die einzelnen Monate nachträglich noch geringfügig ändern.Zurückweisungen trotz Asylgesuchs werden seit dem 7. Mai dieses Jahres durchgeführt, daher sind die Zahlen dafür erst ab Mai 2025 verfügbar. Von Mai bis September liegt die Zahl hierbei meist im niedrigen dreistelligen Bereich, im Mai waren es mit 131 am wenigsten, im Juli mit 213 am meisten. Die Zahlen werden zu den unerlaubten Einreisen hinzugezählt. Ein Anstieg der Zahlen insgesamt ist somit trotz der Änderung seit Mai bislang nicht zu erkennen.

Migrationsforscherin hält Aussagekraft für begrenzt

Die Aussagekraft der Zahlen hält Migrationsforscherin Glorius allerdings für begrenzt. "Wir haben Fallzahlen von Situationen an der Grenze. Das heißt, wenn wir zehn Abweisungen haben, kann das eine Person sein, die zehnmal abgewiesen wurde oder es können zehn Personen sein, die jeweils einmal abgewiesen wurden. Wir wissen das nicht", so Glorius.
Es fehle an Daten, die aufzeigen, wie viele Personen an der Grenze ankommen, wie viele die Grenze passieren dürfen, welchen Status die Personen haben, mit welchem Status die Personen abgewehrt oder ins Land gelassen werden. Es könne zwar beobachtet werden, dass schärfere Grenzkontrollen und der Diskurs darüber einen kleinen Teil der Menschen zurückgedrängt. "Es ist aber in keiner Weise so, dass die Grenze komplett geschlossen ist", sagt Glorius. Schleuser würden neue Wege finden. Tatsächlich zeige sich momentan aber allgemein ein Rückgang von Migrationsbewegungen nach Europa.

Europaweit weniger Asylanträge

Denn nicht nur in Deutschland, auch europaweit ist die Zahl der Asylanträge dieses Jahr deutlich zurückgegangen. Nach Angaben der EU-Asylagentur EUAA ging die Zahl der Erst- und Folgeanträge im ersten Halbjahr 2025 in der EU sowie in den Nicht-Mitgliedsländern Norwegen und Schweiz im Vergleich zum Vorjahr um 23 Prozent zurück.
Die veränderte politische Lage in Syrien spielt eine große Rolle im Rückgang der Zahlen. Demnach beantragten nach dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024 in der ersten Hälfte des Jahres 2025 weit weniger Syrer Asyl, sodass sie nicht mehr die größte Gruppe von Asylbewerbern stellten.
Deutschland ist laut der EUAA auch nicht mehr das beliebteste Zielland in Europa: Frankreich und Spanien erhielten in der ersten Hälfte des Jahres 2025 mehr Anträge. In Relation zur Bevölkerung erhielten Griechenland und Zypern die meisten Anträge. Deutschland lag mit Blick auf die Asylanträge pro Einwohner in der ersten Jahreshälfte unter dem europaweiten Schnitt.

Abschaffung beschleunigter Einbürgerung

Deutschland braucht Migration, wie Glorius erklärt. Denn Deutschland habe ein Demografieproblem. Die Babyboomer gingen in Rente, weshalb wir einen großen Nachwuchsbedarf im Arbeitsmarkt hätten. "Wir müssten als alternde Gesellschaft viel aktiver um Migration werben und unsere Integrationsbemühungen intensivieren und nachhaltig stellen", so Glorius. "Debatten wie jene um die Turbo-Einbürgerung wirken auf junge, talentierte, gut gebildete Migranten einfach nur abschreckend", sagt die Migrationsforscherin weiter.
Nach nur einem Jahr wurde die beschleunigte Einbürgerung gestern vom Deutschen Bundestag wieder abgeschafft. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt sagte dazu in der Debatte im Bundestag: "Der deutsche Pass muss als Anerkennung für gelungene Integration zur Verfügung stehen und nicht als Anreiz für illegale Migration."
"Diese beiden Gruppen haben rein gar nichts miteinander zu tun. Das ist reiner Populismus, der darauf abzielt, Migration grundsätzlich schlecht zu reden", sagt Glorius. Und die hohen Zahlen jener Arbeitsmigranten, die nach relativ kurzer Aufenthaltszeit Deutschland wieder verlassen, zeigten, dass die Botschaft ankomme.

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