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Wo rechtsextreme Inhalte salonfähig werden

Wo rechtsextreme Inhalte salonfähig werden
Die Buchmesse Seitenwechsel stand schon vor dem Start heftig in der Kritik. Prominente Namen wie Hans-Georg Maaßen und Uwe Tellkamp sowie rechtsextreme Verlage waren am Wochenende Programm. In der Stadt formierte sich breiter Protest. 

Für die Organisatoren der Buchmesse Seitenwechsel dürfte die Veranstaltung ein voller Erfolg gewesen sein. Die Buchmesse zog am Samstag und Sonntag mehrere tausend Menschen auf die Messe in Halle. Die Veranstalter sprechen auf ihrer Homepage von rund 6.000 Besuchern. Die Messehalle war an beiden Tagen voll, bei einzelnen Veranstaltungen mussten Teile des Publikums wegen Überfüllung auf dem Boden sitzen. Die Stimmung auf der Messe war an beiden Tagen friedlich.
Initiatorin war Susanne Dagen, Buchhändlerin und kulturpolitische Sprecherin der AfD-Fraktion im Dresdner Stadtrat. Dem ARD-Kulturmagazin TTT sagte Dagen am Rande der Messe, ihr sei es mit dieser Messe vor allem um einen "Perspektivwechsel" gegangen: "Mir ging es in allererster Linie darum, jetzt mal unabhängig von Zuschreibungen, dass wir hier für zwei Tage den kritischen Stimmen im besten Falle in dieser Breite nachgehen."


Vor den Türen der Messe machten Gegner ihre Kritik an der Ausrichtung deutlich.

Veranstalterin widerspricht rechter Wahrnehmung

Am Ende kamen zur Seitenwechsel-Messe aber vor allem Verlage aus dem konservativen, rechten und rechtsextremen Bereich, da bekannte oder etablierte Publikumsverlage nach Angaben der Veranstalter abgesagt hatten.
Auch aufgrund des Ausstellerverzeichnisses wurde die Veranstaltung in der Öffentlichkeit als rechte Buchmesse wahrgenommen. Dem widerspricht Dagen. Sie spricht von einer "alternativ ergänzenden Büchermesse" und "geistiger Notwehr", da aus ihrer Sicht vor allem die großen Buchmessen in Frankfurt und Leipzig in den vergangenen Jahren "politisch immer enger" geworden seien.

Rechtsextremist Kubitschek freut sich über "Dammbruch"

Zu den Ausstellern auf der Buchmesse gehörte unter anderem der Verlag Antaios, der seit 2024 vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuft wird. Dessen Verleger ist der Publizist Götz Kubitschek. Er bezeichnete die Messe bei einem seiner Auftritte als "Dammbruch". Die Besucher seien "der lesende Teil des Aufbruchs in eine bessere Zukunft für unsere Nation". Ihm gefalle die Atmosphäre der Buchmesse, sie erinnere ihn an die 68er-Bewegung.
Auch andere geladene Autoren und Publizisten zeigten sich erfreut über das große Publikumsinteresse. Einige sprachen von einer "Zeitenwende" und einem "Befreiungsschlag". Das Publikum selbst wirkte laut MDR-Reportern zufrieden mit den Themen und der Stimmung auf der Messe. So gab es zum Beispiel immer wieder Applaus, wenn vom "widerständigen" oder "unbeugsamen" Osten die Rede war.

Rechtsextremisten und Promis geben sich Klinke in die Hand

Ein weiterer rechtsextremer Aussteller war der Jungeuropa Verlag des Aktivisten der Neuen Rechten, Philip Stein. Außerdem war die Partei "Freie Sachsen" anwesend, die vom sächsischen Verfassungsschutz als "rechtsextreme Gruppierung mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen" eingestuft wird. Zudem verteilte der rechtsextreme Anwalt Dubravko Mandic an seinem Stand unter anderem eine Checkliste für Verhalten bei Hausdurchsuchungen. Auch Akteure der "Identitären Bewegung" und der ehemaligen AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative" sowie AfD-Politiker wurden gesichtet.
Szenetypische Kleidung war MDR-Reportern zufolge eher die Ausnahme. Das Publikum war familiärer als bei herkömmlichen Szenetreffs oder rechten Demonstrationen. Der Journalist und Rechtsextremismus-Experte Thomas Datt kommt zu dem Schluss: "Rechtsextreme fühlten sich sicher. Für sie war es wie ein Heimspiel - nur, dass das Publikum nicht mehr nur aus ihren Kameraden bestand, sondern auch aus mittelalten, konservativen Ehepaaren."

Verharmlosung von Kriegsverbrechen

Neben zentralen Verlagen der Neuen Rechten und dem rechtsextremen Compact-Magazin waren auch zahlreiche Verlage für Militärgeschichte und Militaria vertreten, die laut MDR-Reportern Publikationen vertrieben, welche die Schuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg und deutsche Kriegsverbrechen relativierten und verharmlosten. Außerdem hätten mehrere Aussteller verschwörungsmythologische Inhalte angeboten oder den Klimawandel geleugnet.
Aber auch bundesweit bekannte Prominente traten bei der Seitenwechsel-Messe auf: Viel Andrang war am Samstag bei einer Signierstunde mit Gloria von Thurn und Taxis, wie auch am Sonntag bei einem Gespräch mit Ex-Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen und der Lesung des Schriftstellers Uwe Tellkamp. Der ehemalige AfD-Chef Alexander Gauland war auf einem Podium in der Haupthalle zu Gast, wo er Hitler als "Betriebsunfall der deutschen Geschichte" bezeichnete - die deutsche Geschichte sei "viel umfassender und insgesamt ein Erfolg."

Experte: Versuch, Rechtsextremismus zu normalisieren

Mit dieser Programmatik verfolgen die Seitenwechsel-Veranstalter laut David Begrich von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus in Magdeburg das Ziel, rechtsextreme Inhalte salonfähig zu machen: "Der Charme für die Veranstalter besteht genau in dieser Mischung. Das Ziel ist ja, nicht nur unter sich zu bleiben." Es gehe darum, einen Repräsentationsrahmen einer Messe zu haben, in dem sich "auf einem normalisierenden Niveau rechtsextreme Verlage präsentieren können", so der Experte.
Laut dem Journalisten Thomas Datt, der vor Ort war, ist diese Strategie der Normalisierung von rechtsextremen Inhalten bei der Messe aufgegangen: "Was die AfD und ihr Vorfeld im ländlichen Raum schon geschafft haben, wurde hier bei der Buchmesse wie durch ein Brennglas deutlich: Sie erreichen in einem immer größeren Kreis die kulturelle Hegemonie."

Breites Bündnis gegen Seitenwechsel

Aus Protest gegen die Messe am Stadtrand fand in der Innenstadt von Halle das Gegenfestival "Wir" statt - mit Schaufensteraktionen, Lesungen, Konzerten und Podiumsdiskussionen. Laut den Veranstaltern kamen im Laufe des Festivals seit dem 21. September insgesamt 12.000 Menschen zu den 400 Veranstaltungen. Am Abschlusswochenende hätten noch 35 Veranstaltungen stattgefunden, zu denen rund 1.500 Besucher gekommen seien.


Das Festival "Wir" wurde als Gegenveranstaltung der Buchmesse gestartet.
Sprecherin Theresa Donner betonte, man habe mit dem Festival Menschen ermächtigen wollen, sich klar zu positionieren. "Dass wir die Menschen dazu bringen, sich zu interessieren und ihnen auch zu sagen: Was dort stattfindet, das ist keine normale Buchmesse." Prominente Unterstützer des Wir-Festivals waren der Börsenverein des deutschen Buchhandels und Buchpreisträgerin Martina Hefter.
Mehr als 30.000 Menschen hatten im Vorfeld eine Petition für die Absage der Buchmesse Seitenwechsel unterzeichnet - weil die Veranstaltung Hass und Intoleranz fördere. Auch der Stadtrat von Halle sprach sich mehrheitlich gegen die Messe aus, verurteilte deren Ausrichtung und die Terminierung auf den 9. November, dem Gedenktag für die Opfer der nationalsozialistischen Pogrome sowie der Friedlichen Revolution von 1989. Halles parteiloser Oberbürgermeister Alexander Vogt hatte in einer offiziellen Stellungnahme seine Sorge über die geplante Messe geäußert.

Demonstrationen und Angriff auf Grünen-Politiker

Etwa 700 Menschen gingen am Samstag in Halle gegen die "Seitenwechsel"-Büchermesse auf die Straße. Bei einer der Demonstrationen ist der sachsen-anhaltische Grünen-Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel angegriffen und verletzt worden. Wie die Polizei mitteilte, kam es am Samstagmittag im Bereich des Messegeländes in Halle zu dem Angriff. Striegel habe Schmerzen im Brustbereich davongetragen. Bei dem Angreifer soll es sich um einen 38-jährigen Mann handeln.


In Halle formierte sich am Wochenende Protest gegen die Messe Seitenwechsel.

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