Fleisch ist nur einmal im Monat drin
In kaum einem Land der Welt ist die Inflationsrate so hoch wie in der Türkei. Doch obwohl viele Menschen darunter leiden, bleiben große Proteste bislang aus. Das hat vor allem zwei Gründe.
"Was sind in diesem Land schon 22.000 Lira?", sagt Ahmet achselzuckend. Er ist 50 und arbeitet als Pförtner einer Tiefgarage. 22.000 türkische Lira entsprechen etwas mehr als 450 Euro. Das ist der aktuelle Mindestlohn in der Türkei - im Monat.
Zumindest in Istanbul arbeitet dafür aber niemand, sagt Ahmet. Das sei nur die Summe, auf die Sozialabgaben entrichtet würden. Tatsächlich bekomme man das Doppelte oder sogar ein bisschen mehr.
Metin ernährt seine vierköpfige Familie allein. Viele Familien kommen nur noch über die Runden, wenn sie über zwei oder mehr Einkommen verfügen. Oder sie wohnen in einer günstigen Gegend sehr weit draußen - so wie Metin. Um 5 Uhr geht er aus dem Haus, gegen 19 Uhr kommt er zurück, isst zu Abend und legt sich schlafen: "Das ist kein menschenwürdiges Leben."
Für eine eigene Wohnung haben Metins Ersparnisse aber nie gereicht. Er sitzt in einer Falle. Seit drei Jahren verdopple sich seine Miete jedes Jahr. Theoretisch können Mieter dagegen vorgehen. Doch das tun die wenigsten, viele wissen gar nicht, wie. Erlaubt sind Mietsteigerungen in Höhe der Inflationsrate. Die liegt aktuell bei rund 33 Prozent - zumindest offiziell. Unabhängige Wirtschaftswissenschaftler gehen regelmäßig von einem doppelt so hohen Wert aus.
Die Gesellschaft verarmt. Das hätte das Zeug zu einer gesellschaftlichen Explosion, zu Massenprotesten oder Streiks. Doch das trauen sich viele Menschen nicht, aus Angst vor Strafverfolgung.
Gleichwohl steigt die Wut vieler Menschen über ihre - wegen der hohen Inflation - miserable Lage. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts ASAL im September bescheinigten drei von vier Befragten der AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine verfehlte Wirtschaftspolitik.
Eine solche Politik - so sagen es Unternehmer im Land - schreckt auch Investoren ab. Und Investitionen hat die türkische Wirtschaft nötig.
"Was sind in diesem Land schon 22.000 Lira?", sagt Ahmet achselzuckend. Er ist 50 und arbeitet als Pförtner einer Tiefgarage. 22.000 türkische Lira entsprechen etwas mehr als 450 Euro. Das ist der aktuelle Mindestlohn in der Türkei - im Monat.
Zumindest in Istanbul arbeitet dafür aber niemand, sagt Ahmet. Das sei nur die Summe, auf die Sozialabgaben entrichtet würden. Tatsächlich bekomme man das Doppelte oder sogar ein bisschen mehr.
"Kein menschenwürdiges Leben"
Doch auch davon kann niemand gut leben, wie der Bäcker Metin vorrechnet: "Gemessen an der Inflationsrate müsste man schon 100.000 bis 150.000 Lira verdienen. Wenn ein Facharbeiter wie ich mit rund 50.000 Lira Einkommen schon mal 20.000 bis 25.000 für die Miete zahlen muss: Wovon soll man dann noch genug Essen kaufen, zumal ja noch die Rechnungen für Strom, Wasser und Gas dazukommen."Metin ernährt seine vierköpfige Familie allein. Viele Familien kommen nur noch über die Runden, wenn sie über zwei oder mehr Einkommen verfügen. Oder sie wohnen in einer günstigen Gegend sehr weit draußen - so wie Metin. Um 5 Uhr geht er aus dem Haus, gegen 19 Uhr kommt er zurück, isst zu Abend und legt sich schlafen: "Das ist kein menschenwürdiges Leben."
Fleisch ist nur einmal im Monat drin
Fleisch könne sich seine Familie nur noch einmal im Monat leisten, sagt Metin. Früher sei das noch wöchentlich möglich gewesen - da war aber insgesamt mehr möglich, wie er sagt: "Vor fünf Jahren konnte ich meine Familie ernähren, meine Miete bezahlen und sogar noch Geld beiseitelegen. Jetzt nicht mehr. Alles ist auf Kante genäht."Für eine eigene Wohnung haben Metins Ersparnisse aber nie gereicht. Er sitzt in einer Falle. Seit drei Jahren verdopple sich seine Miete jedes Jahr. Theoretisch können Mieter dagegen vorgehen. Doch das tun die wenigsten, viele wissen gar nicht, wie. Erlaubt sind Mietsteigerungen in Höhe der Inflationsrate. Die liegt aktuell bei rund 33 Prozent - zumindest offiziell. Unabhängige Wirtschaftswissenschaftler gehen regelmäßig von einem doppelt so hohen Wert aus.
Mindestlohn der neue Durchschnittslohn
Preistreiber sind vor allem Lebensmittel, Verkehr, Bildung und eben die Mieten. Zwar ist der Mindestlohn binnen weniger Jahre vervielfacht worden. Aber die höheren Einkommen steigen nicht automatisch mit an. Dadurch sei die Mittelschicht in der Türkei weggebrochen, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Onur Canakci. Der Mindestlohn sei zum Durchschnittslohn geworden. Dadurch habe die Kaufkraft der Mittelschicht abgenommen. Menschen, die früher ein mittleres Einkommen hatten, seien in die untere Einkommensgruppe abgerutscht.Die Gesellschaft verarmt. Das hätte das Zeug zu einer gesellschaftlichen Explosion, zu Massenprotesten oder Streiks. Doch das trauen sich viele Menschen nicht, aus Angst vor Strafverfolgung.
Familie verhindert Schlimmeres
Dazu kommt: Die sich ausbreitende Armut sei schwer zu erkennen, dafür sorge die türkische Gesellschaft, erklärt Canakci: "Es gibt ein Familienbewusstsein. Das verhindert, dass viele Menschen obdachlos werden und auf der Straße leben wie in Amerika. Das ist der Hauptgrund dafür, dass eine soziale Explosion ausgeblieben ist."Gleichwohl steigt die Wut vieler Menschen über ihre - wegen der hohen Inflation - miserable Lage. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts ASAL im September bescheinigten drei von vier Befragten der AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine verfehlte Wirtschaftspolitik.
Schreckt Erdoğans Politik Investoren ab?
Das allein erklärt die Lage jedoch nicht, sagt der Wirtschaftsprofessor Alp Erinc Yeldan von der türkischsprachigen Online-Ausgabe der Deutschen Welle. Er macht auch das Vorgehen der Regierung etwa gegen die Opposition seit dem Frühjahr dafür verantwortlich. "Der Kampf gegen die Inflation ist wegen der Operationen seit dem 19. März, Prozessen gegen Journalisten und der Nichtbefolgung von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erfolglos." Mit anderen Worten: "Dass die Inflationserwartungen für die Zukunft nicht besser werden, liegt vor allem daran, dass wir eine Krise der Demokratie und des Rechtsstaats erleben."Eine solche Politik - so sagen es Unternehmer im Land - schreckt auch Investoren ab. Und Investitionen hat die türkische Wirtschaft nötig.
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